Lebensraumleistung


Um den ökologischen Ist-Zustand eines Moores als typischen Lebensraum sicher zu beurteilen, wurden drei wesentliche Parameter identifiziert und für die Bewertung herangezogen (Ellenberg 1996, Succow & Joosten 2001). Die Naturnähe diente dabei als wertbestimmendes Kriterium:

  • Naturnähe des mittleren jährlichen Wasserstands (ausgedrückt als Wasserstufe)
  • Naturnähe der Standorttrophie
  • Naturnähe der Biotopstruktur

Referenzzustand der Parameter nach Entwicklungszieltypen

Da die natürliche Ausprägung von Mooren in Abhängigkeit ihrer Lage, Landschaftseinbindung und Wasserspeisung bezüglich der genannten Parameter stark unterschiedlich ist, muss für jeden Standort eine angepasste Bewertungsgrundlage geschaffen werden. Dazu wurden verschiedene Entwicklungszieltypen mit charakteristischen Kombinationen von Raummerkmalen definiert, die den Ziel- oder Referenzzustand des Moores darstellen.

Entwicklungszieltypen der Moore und ihre Standorteigenschaften als Referenz für die Beurteilung der Lebensraumleistung. Die Einteilung ist angelehnt an die ökologischen Moortypen nach Succow (1988).

Kriterium

Naturnähe des Wasserstandes

Naturnähe der Standorttrophie

Naturnähe der

Biotopstruktur

Parameter

Wasserstufen (mittlerer jährlicher Wasserstand)

Trophiestufen

Merkmale der Biotopstruktur

Torfmoosmoor
(Sauer-Armmoor)

5+ und 4+

(10 cm über Flur bis 20 cm unter Flur)

 

oligotroph oder mesotroph

unbewaldet bzw. gehölzarm bis 30 % Deckung; nach Biotoptypenkartierung kein „Degenerationsstadium“

Torfmoosmoor, bewaldet

(Moorwald)

oligotroph oder mesotroph

bewaldet bzw. Gehölzdeckung > 30 %

Braunmoosmoor (basenreiche Kalk-Zwischenmoore)

mesotroph

unbewaldet bzw. gehölzarm bis 30 % Deckung; nach Biotoptypenkartierung kein „Degenerationsstadium“

Reichmoor

eutroph

unbewaldet bzw. gehölzarm bis 30 % Deckung

Reichmoor, bewaldet

bewaldet bzw. Gehölzdeckung > 30 %

Zur Ermittlung des Entwicklungszieltyps finden Sie Informationen unter:
→  Zuweisungskriterien


Ermittlung des Ist-Zustandes

Die Ermittlung des Ist-Zustandes erfolgte je Parameter auf der Ebene der Biotoptypen(-polygone).


Wasserstand

Für die Ermittlung des mittleren jährlichen Wassserstands bzw. der Wasserstufen wurden Boden- und Vegetationsmerkmale herangezogen. Die Methodik ist beschrieben unter:
→  Kernparameter Wasserstand


Standorttrophie

Die Ermittlung der aktuellen Standorttrophie erfolgt auf der Ebene der Biotoptypen. Jedem Biotoptyp der Berliner Biotoptypenliste, der in den untersuchten Moorgebieten zu finden war (Auszug s. Tabelle unten), wurde eine typische Trophiestufe zugeordnet, in Ausnahmefällen auch zwei (z. B. „eutroph bis polytroph“).

Trophiestufen und C/N-Verhältnisse für die Kennzeichnung von Moorstandorten nach Succow & Stegmann (1988, 2001).

Trophiestufe

C/N-Verhältnis

verbal

Abkürzung

 

oligotroph

nährstoffarm

ol

> 33

mesotroph

mäßig nährstoffarm

me

20 bis 33

eutroph

nährstoffreich

eu

10 bis < 20

polytroph

nährstoffüberlastet

po

 7 bis < 10


Informationen über charakteristische trophische Zustände wurden für Moorbiotope der Biotoptypenliste Berlins aus folgenden Quellen zusammengetragen:

  • trophische Attributierung bei der Bezeichnung der Biotoptypen (Biotoptypenliste Berlins, Stand: 2005) (z. B. 04500 „Röhrichte eutropher bis polytropher Moore und Sümpfe“)
  • trophische Einordnung der Vegetationsformen der Moorstandorte Nordostdeutschlands (Succow u. Joosten 2001). Dazu wurden die Vegetationsformen anhand floristischer Beschreibungen den Berliner Biotoptypen zugeordnet; in wenigen Biotoptypen-Gruppen („Hochstaudenfluren feuchter bis nasser Standorte“, „Grünlandbrachen feuchter Standorte“, „Gebüsche nasser Standorte“) blieben einige Biotoptypen ohne Zuordnung, da keine klare floristische Zuordnung möglich war
  • weitere Fachliteratur (Ellenberg 1996, Dierßen & Dierßen 2001 u. a.)

Biotoptypenliste Berlins (Moorstandorte) mit Zuordnung von Wasserstufen und Trophie (Auszug).

Berliner Biotoptypen, Stand: 2005

Code

Biotoptypen

Wasserstufe

Trophiestufe

04311

Bunter Torfmoosrasen, Sauer-Armmoor (oligotroph-saures Moor)

5+, 4+

ol/me

04326

gehölzarmes Degenerationsstadium der Sauer-Zwischenmoore (mesotroph-saures Moor)

5+, 4+

me

04327

gehölzarmes Degenerationsstadium der Sauer-Zwischenmoore (mesotroph-saures Moor), Kesselmoor

5+, 4+

me

04328

Abtorfungsbereich mit Regeneration, Sauer-Zwischenmoor (mesotroph-saures Moor),

x

me

04329

sonstige Sauer-Zwischenmoore (mesotroph-saures Moor)

5+, 4+

me

04330

Kalk-Zwischenmoor (mesotroph-kalkreiches Moor)

5+, 4+

me

04331

Braunmoos-Kalkbinsen-Ried, Kalk-Zwischenmoor (mesotroph-kalkreiches Moor)

5+, 4+

me

04332

nährstoffreiche (eutrophe bis polytrophe) Moore und Sümpfe

5+, 4+

eu/po

04333

Röhrichte nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe

5+, 4+

eu/po

04334

Seggenried mit überwiegend bultigen Großseggen nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe

/td>

5+, 4+

eu/po

04335

Seggenried mit überwieg. rasig bewachsenen Großseggen nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore u. Sümpfe

5+, 4+

eu/po

04336

Kleinseggenried nährstoffreicher Moore und Sümpfe

5+, 4+

eu

04337

Gehölze nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe (Gehölzdeckung 30-50%)

x

eu/po

04338

Gehölze nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe (Gehölzdeckung > 50%)

x

eu/po

04339

Erlen-Moorgehölz nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe

x

eu/po

04340

Erlen-Moorgehölz nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe (Gehölzdeckung 10-30%)

5+, 4+

eu/po

04341

Erlen-Moorgehölz nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe (Gehölzdeckung 30-50%)

5+, 4+

eu/po

04342

Erlen-Moorgehölz nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe (Gehölzdeckung > 50%)

x

eu/po

04343

Weidengebüsche nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe

5+, 4+

eu/po

04344

Weidengebüsche nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe (Gehölzdeckung 30-50%)

5+, 4+

eu/po

04345

Weidengebüsche nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe (Gehölzdeckung > 50%)

5+, 4+

eu/po

04346

Faulbaumgebüsche nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe (Gehölzdeckung > 50%)

< 4+

eu/po

04347

sonstige Gebüsche nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe

5+, 4+

eu/po

04348

sonstige Gebüsche nährstoffreicher (eutropher bis polytropher) Moore und Sümpfe (Gehölzdeckung > 50%)

5+, 4+

eu/po

04349

sonstige nährstoffreiche (eutrophe bis polytrophe) Moore und Sümpfe

5+, 4+

eu/po

04350

Feuchtwiesen und Feuchtweiden

4+, 3+

x

05101

Großseggenwiesen (Streuwiesen)

4+, 3+

eu

05102

Feuchtwiesen nährstoffarmer bis mäßig nährstoffreicher Standorte (Pfeifengraswiesen)

4+, 3+

me

05103

Feuchtwiesen nährstoffreicher Standorte

4+, 3+

eu

05105

Feuchtweiden

< 4+

x

05131

Grünlandbrachen feuchter Standorte

< 4+

x

05141

Hochstaudenfluren feuchter bis nasser Standorte

x

x

051412

flächige Hochstaudenfluren auf Grünlandbrachen feuchter Standorte

< 4+

x

051413

Brennesselfluren feuchter Standorte bis nasser Standorte

< 4+

eu/po

0514131

Brennesselfluren feuchter Standorte bis nasser Standorte, Gehölzbedeckung < 10%

< 4+

eu/po

0514132

Brennesselfluren feuchter Standorte bis nasser Standorte, Gehölzbedeckung 10-30%

< 4+

eu/po

051414

Neophytenfluren feuchter bis nasser Standorte

< 4+

eu/po

051419

sonstige Staudenfluren feuchter bis nasser Standorte

4+, 3+

x

07101

Gebüsche nasser Standorte

5+, 4+

x

08100

Moor-, Bruch- und Sumpfwälder

4+, 3+,2+

x

08101

Kiefern-Moorwälder

4+, 3+

ol/me

081011

Pfeifengras-Kiefern-Moorwald

4+, 3+

ol/me

08102

Birken-Moorwälder

4+, 3+,2+

ol/me

081022

Torfmoos-Moorbirkenwald

4+, 3+

me

081024

Pfeifengras-Moorbirkenwald

4+, 3+

ol/me

08103

Erlen-Bruchwälder, Erlenwälder

< 4+

eu

081032

Wasserfeder-Schwarzerlenwald

5+, 4+

eu

081034

Großseggen-Schwarzerlenwald

5+, 4+

eu

081036

Rasenschmielen-Schwarzerlenwald

3+

eu

081037

Moorbirken-Schwarzerlenwälder

5+, 4+

me

0810371

Torfmoos-Moorbirken-Schwarzerlenwald

5+, 4+

me

0810372

Pfeifengras-Moorbirken-Schwarzerlenwald

3+

me

081038

Brennessel-Schwarzerlenwald

< 4+

eu

08110

Erlen-Eschen-Wälder

< 4+

eu

08113

Traubenkirschen-Eschenwald

< 4+

eu

08283

Vorwälder feuchter Standorte

< 4+

x

 

 

x = keine Zuordnung möglich


Bei Mooren existiert ein enger Zusammenhang zwischen den C/N-Verhältnissen des Oberbodens als Maß der Standorttrophie und der Vegetationsausprägung (Ellenberg 1996, Succow & Joosten 2001). Im Rahmen der Bodenuntersuchungen wurden Corg- und Nt-Gehalte bestimmt und daraus die C/N-Verhältnisse in den Oberböden abgeleitet. Damit wurde eine Validierung der literaturbasierten Trophiestufen-Zuordnung zu einzelnen Biotoptypen durchgeführt. Die Laborergebnisse bestätigten die Literaturangaben weitgehend. So zeigte sich, dass die vererdeten Oberböden der Niedermoore (nHv‑Horizonte) mit einem durchschnittlichen C/N-Verhältnis von 14 (eutroph; n=12) wesentlich nährstoffreicher sind als die vererdeten Oberböden der Übergangsmoore (uHv-Horizonte) unter Degenerationsstadien und sekundären Moorwäldern, die ein durchschnittliches C/N-Verhältnis von 25 (mesotroph) zeigten (n=11).


Biotopstruktur

Viele ursprünglich baumfreie Moore sind heute bewaldet oder durch Gehölzaufwuchs gefährdet. Diese sekundären Moorwälder (z. B. Erlenbruchwald, Kiefern-Birken-Moorwald) werden häufig als naturnah eingestuft und unterliegen auch gesetzlichem Schutz (FFH-LRT 91D0 Moorwälder). Die Bäume konkurrieren jedoch mit standorttypischen Moorpflanzen und beeinträchtigen sie besonders durch Beschattung und Laubfall. Die Abfrage der „Naturnähe der Biotopstruktur“ dient dazu, solche Gehölze auf Moorstandorten zu beurteilen. Wenn beispielsweise für ein Moor auf der Basis von Altdaten oder Bodenaufnahmen (fehlende Holztorfe!) ein unbewaldeter Entwicklungszieltyp identifiziert wird, ist der aktuelle Gehölz- bzw. Waldbestand negativ zu beurteilen. Die Gehölzdeckung wird in der Berliner Biotoptypenklassifizierung mit 10–30, 30–50 und > 50 % angegeben. Die kritische Grenze der Gehölzdeckung wurde auf 30 % festgelegt, da auch unbewaldete Moorbiotope einige Gehölze beherbergen können. Eine nicht geschlossene Bewaldung von mehr als 30 % Gehölzbedeckung muss, in Anlehnung an die Wertstufen der FFH-LRT-Kartierung (Zimmermann 2010) bereits kritisch beurteilt werden, da sie oft negative Trends des Moorwasserhaushaltes anzeigt.

Neben den standortfremden Gehölzen sind Dominanzbestände von Pfeifengras (Molinia caerulea) in Degenerationsstadien der Übergangsmoore oder Röhricht (z. B. Schilf) in ehemals nährstoffärmeren, basenreichen Niedermooren für konkurrenzschwache, standorttypische Moorarten problematisch. Daher werden die Degenerationsstadien neben standortfremden Gehölzbeständen als negatives Merkmal der Biotopstruktur bei der Bewertung berücksichtigt.


Bewertungssynthese

Die Gesamtbewertung des Ist-Zustands erfolgt durch eine schrittweise Abfrage (siehe unten). Weicht der Ist-Zustand eines Parameters vom naturnahen Ziel-Zustand ab, wird eine Teilabwertung vorgenommen. Bereits zwei negative Teilbewertungen führen in die unterste Klasse der Lebensraumleistung („mäßig naturnah“), weil dann von einem gestörten, verbesserungswürdigen Moorzustand auszugehen ist (hohes Umweltentlastungspotenzial). Die Nomenklatur der Klassen berücksichtigt, dass die Naturnähe von Mooren im Gegensatz zu anderen Biotopen (z. B. Trittrasen) in Berlin immer vergleichsweise hoch, also nie „naturfern“, ist.


Beispielmoor 1


Beispiel für ein Moor, bei dem die Raummerkmale des Ist-Zustandes mit dem Ziel-Zustand übereinstimmen. Der Standort wird als „naturnah“ eingestuft und die Bewertung der Lebensraumleistung ist positiv.


Beispielmoor 2


Beispiel für ein Moor, bei dem die Raummerkmale des Ist-Zustandes mit dem Ziel-Zustand in zwei Fällen nicht übereinstimmen. Diese Bewertungsmatrix ist beispielsweise für ein trockenes Torfmoosmoor kennzeichnend, das von sekundärer Bewaldung (z. B. Moorbirken) betroffen ist, aber noch keine deutlichen Eutrophierungserscheinungen zeigt. Die negative Beurteilung von zwei Naturnähe-Parametern führt bereits zur Einstufung in die 3. Klasse. Der Standort wird als „mäßig naturnah“ eingestuft und die Bewertung der Lebensraumleistung ist negativ.

Das Bewertungssystem für die Lebensraumleistung kann unter Anwendung der Biotoptypenliste Berlins für Moorstandorte ohne großen Aufwand angewendet werden. Lediglich die Ansprache des Oberbodens im Gelände als wichtige Informationsquelle ist zusätzlich zu leisten. Gegenüber gängigen Bewertungssystemen wie Biotopwertverfahren der Landschaftsplanung ist die Abstimmung auf die Eigenschaften von Moorökosystemen von Vorteil, da Standorttrophie und -strukturen zielgerichtet hinsichtlich ihrer Naturnähe geprüft werden. Über die Bestimmung eines Entwicklungszieltyps können Fehleinschätzungen vermieden werden. So kann z. B. ein Kiefernmoorwald als Folge der Entwässerung eines Torfmoosmoores erkannt werden, der sonst als seltenes und stark gefährdetes Waldbiotop als besonders schützenswert erfasst würde.


Entscheidungssystem